Donnerstag

Mein Sohn hat im Betrieb Bescheid gesagt, dass er später kommt, so kann er mich in die Klinik fahren. Telefonisch hatte ich ja abgeklärt, dass man dort Erfahrung mit Querschnitten hat. Für die Untersuchung, die in einer Schlafnarkose durchgeführt wird, muß natürlich der Darm leer sein. Da ich mich auf dem Toilettenstuhl nicht allzu lange halten kann, muß ich liegen. Eine gewisse Menge Zellstoff unter mir, die bei Bedarf ausgetauscht wird, kann selbst den schlimmsten Dünnpfiff auffangen.
Die Klinik, ein ehemaliges Kreiskrankenhaus und jetziges Profit Center, macht auch einen guten Eindruck. Ein heller, freundlicher Eingangsbereich, große Fenster, die Computer, die ich sehen kann, haben alle Flachbildschirme. Die Privatisierung scheint der Klinik gut bekommen zu sein. Der neue Name erinnert ein wenig an den ollen Griechen oder Römer mit seinem Schlangenstab, aber ich muß die Klinik ja nicht heiraten. Meine persönlichen Daten sind schon vor mir eingetroffen, es lebe der Datenschutz.
Ich werde in die Aufnahme gebeten, ich sei noch etwas früh, käme aber gleich dran. Relativ flott bin ich trotz des frühen Eintreffens in einem modern ausgestatteten 2-Bett Zimmer mit eigenem Bad.
Für’n Kassenpatienten nicht schlecht. Bei der Eingangsuntersuchung bietet man mir an, zur Coloskopie gleich noch eine Gastroskopie mit zu machen, das sei kein Problem, ginge fast gleichzeitig. Gutes Marketing, und weil Magen und Darm ja doch irgendwie zusammenhängen, macht es sogar Sinn.
Ich flachse noch, nehmt doch einfach einen langen Schlauch, dann geht es in einem Aufwasch.
Hm, die haben jetzt nicht unbedingt meine Art von Humor.

Schon wieder kommt so ein Weißkittel an, er soll mir Blut abnehmen. Kriegt er. Die Nadel läßt er drin, fixiert sie mit einem Pflaster, legt noch eine kleine Binde rundrum.
“Chef, das scheuert aber ganz schön, nicht dass ich wieder ne offene Stelle kriege.”
“Ach, das mache ich tausend Mal am Tag, das paßt schon.”
Ich werde hellhörig. Jeder, der sich mit Querschnitten auskennt, wird sofort ernst, wenn das Thema offene Stelle angeschnitten wird. Und der Typ fertigt mich mit einer Handbewegung ab
Aufpassen, Dicker, da paßt was nicht.

Aber erstmal werde ich ins Bett gebracht. Mit meinen Anweisungen funktioniert das ziemlich gut. Danke, einmal an die Ergo und auch an die Pflege in der Reha-Klinik. das habt ihr mir gut beigebracht. Haben wir aber auch geübt bis zum Abwinken.

Ich habe mir ein dickes Buch mitgebracht. Tom Clancy, der tobt sich auch immer aus, beim Schreiben. So werden seine Bücher so richtig dick. Außerdem spielt heute Abend Deutschland gegen Portugal. Wenn die so spielen, wie bisher, kann ich wenigstens prima einschlafen.
Die Schwester kommt mit einer großen, blauen Kanne und zwei Schnabelbechern. Klar, im Liegen kann ich nicht trinken. Und ich muß diese Kanne in zwei Stunden leer haben.
Hmmm, lecker, schmeckt wie warmer, gesalzener Sirup, in dem eine vereinsamte Limone sich ertränkt hat. Das ist das einzige, was ich heute noch bekomme. Wenns schee macht...

Als die Kanne leer ist, kommt die Schwester mit einer Bettpfanne an. Hallo, ich Querschnitt, ihr Spezialisten. Hat man mir jedenfalls am Telefon gesagt. Ach ja, richtig. Die Schwester verschwindet wieder. Und kommt mit einem sterilen Paket zurück. Ich muß ja viel trinken und bekomme auch noch eine Narkose. Mit intermittierender Kathederisierung könnte das Probleme geben. Und schon habe ich eine 4-Spurige Keimautobahn drin. Der immer wieder gern genommene Dauerkatheder. Na toll, und was ist mit der Bettpfanne, ich merke doch nix.
Das war jetzt aber ne Steilvorlage für die Pflege. Quasi eine Einladung. Zack, schon sitze ich auf der Bettpfanne. Ach, ihr habt keine Zeit, mir ab und zu den Zellstoff auszuwechseln? Vielleicht habt ihr ja Zeit ein paar Mal pro Stunde Hautkontrolle zu machen. Ist zwar kein Zellstoffwechsel, macht aber auch keinen Spaß.
Klingeling, ich taste mit den Fingern an eine Stelle, wo die Bettpfanne auf eine Hautfalte trifft. Da scheint es warm zu sein, würden sie bitte einmal nachsehen? Je saurer ich bin, desto höflicher werde ich. Da kann ich nichts dazu. Ist aber immer wieder eine Überraschung, wenn ich dann quasi aus heiterem Himmel explodiere.
Nach der x-ten Hautkontrolle, um die ich inzwischen mit erlesener Höflichkeit bitte, bekomme ich die Bettpfanne ausgepolstert.

Schweinsteiger und Klose sorgen zeitgleich ebenfalls für ein bisschen Polster.

Die Schwester denkt mit, geht mit einem ähnlichen Elan dran, wie diese 11 Rasenschachspieler, die plötzlich entdeckt haben, dass Fußball auch anders geht. Ich versuche, ihr den Sachverhalt zu erklären. Dieses Stückchen Haut, auf dem ich da sitze, auf dem sitze ich bis zu 14 Stunden am Tag. Ich merke aber nichts, das heißt, die kleinste Hautirritation kann verheerende Folgen haben.
Als dann Ballack noch mal einen drauf setzt, werde ich endlich, nach etlichen Stunden, von der Bettpfanne runter gesetzt. Ich male mir aus, wie meine Haut jetzt wahrscheinlich aussieht, aber die Schwester kann mich beruhigen. Zur Sicherheit cremt sie mich noch ein und bringt - eine Windel an.
Nee, oder? was soll ich denn jetzt damit. Mit so einem Teil habe ich bewiesen, dass der Mensch vom Affen abstammt. Ich erkläre ihr, dass ich keinesfalls wie ein Pavian aussehen möchte und auch keine Lust auf ein paar Monate Bauchlage habe.
Sie verspricht mir, es könne absolut nichts passieren. Sie würde selbst regelmäßig nachsehen.
Und wirklich, sie sieht regelmäßig nach. Im Halbschlaf bekomme ich noch mit, dass sie noch ein Nachbeben von diesem fürchterlichen Saft entsorgt und mir eine frische Windel verpaßt. Hätte ich mein Schamgefühl nicht schon vor einem Jahr verloren, ich würde diese Windelei entwürdigend finden. Aber egal.
Morgen noch das bisschen Untersuchung und dann geht’s wieder heim.

Sicher?